Im September 2021 war ich vom Schlaubetal nach Eberswalde gezogen. Von Oktober 2021 bis Dezember 2023 arbeitete ich bei Palanca e.V. (Afrikanischer Kulturverein Eberswalde), dort war ich redaktionell für Website und Social Media zuständig. Zudem organisierte ich Deutsch-Kurse für Geflüchtete und unterrichtete - wie in früheren Zeiten in Wien - Deutsch als Fremdsprache (DaF).
Ich war schockiert, als ich bemerkte, dass sich in den 20-25 Jahren, seitdem ich in Wien im Antirassismusbereich tätig war, kaum etwas zum Besseren verändert hat. Immer noch gibt es rassistische Anfeindungen und Übergriffe im Alltag, immer noch behördlichen Rassismus, immer noch werden geflüchteten Menschen im neuen Land nicht bloß Steine, sondern ganze Felsen in den Weg gelegt und somit die Integration massiv erschwert! Für mich ist das ungeheuerlich und unfassbar - im 21. Jahrhundert!! Deshalb wirkte ich bei Palanca e.V. mit, engagierte mich auch bei weiteren antirassistischen Verbänden in Eberswalde (u.a. Barnim für alle, Light me Amadeu, Bündnis Unteilbar Eberswalde) und war beim Integrationsnetzwerk des Landkreises Barnim mit dabei.
Seit dem 7. Oktober 2023 ist jedoch alles anders. Der barbarische Terrorangriff der Hamas auf Israels Zivilbevölkerung verursachte einen tiefen Einschnitt in jüdische Lebenswelten, auch in Deutschland. Nach dem Schock und der Trauer über die bestialischen Angriffe, Ermordungen, Verstümmelungen, Vergewaltigungen und Geiselnahmen kamen für uns Jüdinnen und Juden in der globalen Diaspora noch die Todesdrohungen der Hamas hinzu. Mit Entsetzen erlebten wir deutschlandweit ein massives Ansteigen von antisemitischen Über- und Angriffen. Und mit noch größerem Entsetzen erkannten wir trotz klarer Worte pro Israel und contra Antisemitismus seitens hochrangiger Politiker:innen, dass wir hier in unserer Heimat Deutschland nur wenige Verbündetete haben.
Denn von den meisten nichtjüdischen Menschen erfahren wir keine Anteilnahme, keine Solidarität - auch von den meisten unserer "Freundinnen" und "Freunde" nicht, was ganz besonders schmerzt. Wie zahlreich waren doch im vorigen Jahr die Sympathie- und Solidaritätsbekundungen sowie Hilfestellungen für Menschen aus der Ukraine (berechtigterweise - auch ich habe mich in der Ukraine-Hilfe engagiert, zudem profitierten viele Ukrainer:innen in Eberswalde von meinen ehrenamtlichen Deutschkursen)! Im Gegensatz dazu erleben wir bedrohten Jüdinnen und Juden seitens der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft lautstarkes Schweigen, im schlimmsten Fall gar Täter-Opfer-Umkehr und (israelbezogenen) Antisemitismus.
Von ca. 50 Vereinen, politischen Parteien, Kirchen und anderen Organisationen im Landkreis Barnim (allen voran Stadt Eberswalde und HNEE), die ich anschrieb und um ein solidarisches Statement ersuchte, erhielt ich drei (!) Antworten: Einzig die SPD Barnim, die Grünen Barnim und der Evangelische Kirchenkreis Barnim waren bereit, ihre Solidarität mit Jüdinnen und Juden öffentlich zu bekunden (Instagram). Allen anderen (darunter auch die HNEE, die zwar solidarisch zur Ukraine steht, wie sie auf der Hauptseite ihrer Webseite verlauten lässt, aber sich ganz offensichtlich nicht für ihre jüdischen und israelischen Studierenden einsetzen will) war mein - eigentlich selbstverständliches - Anliegen nicht einmal einer Antwort wert. Vom Bürgermeister der Stadt Eberswalde erhielt ich - nach mehrmaligem Urgieren (und obowhl ich antisemitische und israelfeindliche Stimmen bei den sog. "Montags-Demos" aufdeckte, bei Antisemitismusstellen meldete und bei der Polizei anzeigte) - schließlich doch eine Rückmeldung, welche mir endgültig vor Augen führte, dass wir von der Plurikulturalität, wie sie mir vorschwebt, noch Lichtjahre entfernt sind. Kurzgefasstes Fazit: Die Stadt Eberswalde fühlt sich weder für den Schutz von Jüdinnen und Juden noch für das Eintreten gegen Antisemitismus verantwortlich und von Solidarität mit jüdischen Menschen will sie nichts wissen (signifikanterweise wurden alle meine Angebote für solidarische ökumenische Veranstaltungen, u.a. Chanukkia am Weihnachtsmarkt, schlichtweg abgelehnt).
Auch beim Afrikanischen Kulturverein Palanca erhielt ich keine Anteilnahme und Unterstützung - Solidarität wurde gänzlich verweigert (es gab zwar Fürsprecher:innen, aber der Palanca-Vorstand verhielt sich absolut ignorant). Das tat mir ganz besonders weh, weil das Palanca-Team ja so etwas wie "Familie" für mich war, doch diese Familie, für die ich mich mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Kraft eingesetzt hatte, hat mich im Stich gelassen, als ich sie am nötigsten brauchte. Deshalb habe ich aufgehört, bei Palanca zu arbeiten. Solange die Black Communities nicht verstehen, wie fundamental wichtig es ist, dass sich alle Minderheitengruppen gegenseitig unterstützen, haben wir noch einen sehr, sehr weiten Weg zur echten Plurikulturalität. Allyship gegen Rassismus ist keine Einbahnstraße - Allyship gegen Antisemitismus gehört jedenfalls mit dazu.
Nicht einmal der "Freundeskreis Israel in Eberswalde e.V." fühlte sich nach dem "Schwarzen Schabbat" vom 7. Oktober bemüßigt, öffentlich Solidarität mit Israel zu bekunden. Dabei hatte ich schon länger davor angeboten, ehrenamtlich und unentgeltlich eine Website für den Verein zu erstellen und diese auch zu betreuen; nach dem 7. Oktober legte ich dem Vorstand schließlich nahe, wie wichtig ein solches Solidaritätsbekenntnis gerade jetzt für Israel und für uns Jüdinnen und Juden in Deutschland sei. Doch mein Angebot wurde ignoriert, genauso wie meine Bitte um solidarische Positionierung. Aus dem Verein bin ich ebenfalls ausgetreten.
So viele schlechte Erfahrungen, die ich in Eberswalde machen musste! Nicht zu vergessen, lange vor dem 7. Oktober 2023 gab es ja bereits den antisemitisch motivierten Rauswurf aus der Eberswalder Gedenkinitiative "Spuren jüdischen Lebens in Eberswalde", wo ich - als einzige Jüdin - ein Jahr lang ehrenamtlich mitgewirkt hatte und dann plötzlich aus heiterem Himmel und völlig grundlos in einer hinterhältigen und niederträchtigen Mobbingaktion rausgeschmissen wurde!
Traurige Tatsache dabei ist, dass diese Gojim, die hier (gewissensberuhigende) Gedenkkultur machen, nichts zum jüdischen Alltagsleben, zur jüdischen Kultur und jüdischen Religion wissen (wollen). Sie bieten Führungen zum Synagogendenkmal an, waren aber selbst noch nie in einer Synagoge und wissen nichts über jüdische Gottesdienste, sie führen über jüdische Friedhöfe, haben aber keinen blassen Schimmer von jüdischen Begräbnis- und Trauerriten. Und die einzige Jüdin unter ihnen, die ihnen bereitwillig Auskunft geben würde, werfen sie raus - ist das zu fassen?!
ÜBER tote (ermordete) Jüdinnen und Juden Gedenkkultur zu machen, aber MIT lebenden Jüdinnen und Juden nichts zu tun haben zu wollen und sogar in der Erinnerungskultur zur Shoah "judenfreie" Zonen zu schaffen, das erzeugt jedenfalls eine extrem schiefe Optik. Ein Miteinander auf Augenhöhe? Dieser antisemitische Vorfall zeigt nur allzu deutlich, dass die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft - nachgerade im Shoah-Gedenken - nicht dazu bereit ist.
Jedoch nicht nur die Erinnerungskultur steckt voller Antisemitismen - gleichermaßen ist das Alltagsleben von uns Jüdinnen und Juden dadurch immer wieder beeinträchtigt und seit dem "Schwarzen Schabbat" des 7. Oktober 2023 lauert quasi überall die bösartig verzerrte Fratze des uralten Antijudaismus - mal mehr, mal weniger getarnt: von "Israelkritik" bis hin zu israelfeindlichem Antisemitismus. Der fanatischen Terrororganisation Hamas reicht es nicht, israelische Zivilist:innen heimtückisch niederzumetzeln, nein, alle jüdischen Menschen weltweit werden mit Mord und Totschlag bedroht. Und die Gojim hier in Deutschland (in ganz Europa und in den USA)? Größtenteils schweigen sie dazu ... mehr noch: viele geben - in klassischer "Täter-Opfer-Umkehr" Israel die Schuld am bestialischen Terror der Hamas, stellen Israel als "kolonialistischen" und "genozidalen" Dämon dar, skandieren gar im Chor zusammen mit dem islamistischen Mob "From the river to the sea Palestine will be free", sprechen somit Israel das Existenzrecht ab. Muslimische Extremisten wollen in Europa das Kalifat einführen, uns also ins Mittelalter zurückkatapultieren, und hiesige Rechtsextremisten stimmen mit ein, weil sie als "Reichsbürger" sowieso den deutschen Staat ablehnen und sich nach einem starken "Führer" (!) sehnen (und noch eine Gemeinsamkeit all dieser reaktionären "Querdenker": Frauen gehören sowieso an den Herd, sind eh nur zum Kinderkriegen da)! Die politischen Linken setzen gegen all das unsinnige, unredliche Israel-Bashing auch keinen Kontrapunkt, vielmehr sehen sie ihre langjährige - aus fehlgeleiteter Postkolonialismuskritik gespeiste - Abneigung gegen Israel bestätigt. Die öffentlichen Medien ergehen sich - wie seit Jahren bzw. Jahrzehnten gewohnt - in Halbwahrheiten und verzerrten Darstellungen. Und die UNO? Nu, die ist, wie wir ebenfalls aus langjähriger Erfahrung wissen, punkto Israel komplett daneben ...
All diese Teil- und Unbildung führt zur völligen Verblendung - gepaart mit per se latentem Antisemitismus ergibt das eine brandgefährliche Mixtur, womit Realitätsverzerrungen, ja sogar Realitätsverfälschungen legitimiert, als Tatsachen dargestellt und mit einer derartigen Rasanz über Social Media-Kanäle verbreitet werden, dass es nur wenigen gelingt, diese "Fakten" als das zu enttarnen, was sie sind, nämlich fake facts.
Den meisten Menschen ist es nämlich viel zu zeit- und arbeitsaufwändig, Hintergründe zu recherchieren, Quellen zu studieren usw., kurz gesagt, viel zu anstrengend, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen. Dabei ist gerade die Geschichte und Situation im sog. "Nahen Osten" eine höchst komplexe, die keinesfalls auf Israel vs. Palästina reduziert werden darf. Doch das kümmert niemand aus der Riege der faktenverdrehenden Kleingeister, denn die wollen sowieso nur ihrer simplen (um nicht zu sagen: primitiven) Schwarzweiß-Weltsicht frönen.
Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen ... aber dass diese Menschen das Leid der Palästinenser:innen in Gaza bedauern und beklagen, hingegen vor dem Leid der Israel:innen und dem Horror, dem die Geiseln der Hamas immer noch ausgesetzt sind, ihre Augen und Herzen verschließen, ist für mich unfasslich. Wieder werden hier verschiedene Maßstäbe angesetzt und wiederum wird Täter-Opfer-Umkehr betrieben: Israel ist und bleibt, wie es schon Alan Dershowitz formulierte, "der Jude unter den Nationen".
Kein Wunder also, dass ich seit dem 7. Oktober 2023 merke, wie allein ich in Eberswalde bin. Von den vielen Bekannten und "Freund:innen" fragt mich kaum ein Mensch, wie es mir in diesen schweren Zeiten geht. Kaum jemand findet ein Wort der Anteilnahme oder des Trostes. Und falls doch jemand das Thema "Krieg in Israel" anspricht, dann kommt garantiert das berühmt-berüchtigte "Ja, aber ..."! Auf einmal gibt es so viele selbsternannte "Nahost-Expert:innen", da kann ich als betroffene Jüdin, die seit Jahren die israelische Geschichte und Politik studiert, gar nicht mithalten ... grotesk, aber das ist meine Realität. Zudem wird mir als Jüdin für mein Alltagsleben empfohlen, meine Halskette mit Davidstern eher nicht zu tragen ... und schon gar nicht Hebräisch zu sprechen ... etwa auch noch den Namen ändern?!? Dafke, ich trage weiterhin meinen Davidstern - jetzt erst recht. Und wenn mir danach ist, rede ich Hebräisch oder Jiddisch - jetzt erst recht.
Eberswalde ist mir nunmehr absolut verleidet. Also gehe ich nach Berlin, denn ich bin Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und dort habe ich wenigstens die jüdische Community um mich herum, abgesehen von dem vielfältigen kulturellen Angebot einer Großstadt. Mein Herz zieht mich eigentlich nach Israel, doch mit den Hunden kann ich Alijah vergessen. Mit Speedy und Chekotee lässt es sich nicht so einfach nach Israel auswandern, noch dazu für mich ältere Dame mit chronischen Schmerzen. Es wird sowieso schon nicht ganz leicht sein, eine Wohnung in Berlin zu finden, die auch für meine Hunde und Katzen passt, aber in Eberswalde hält mich überhaupt nichts mehr (besides: auch in Berlin gibt es viel Natur) - b'ezrat haShem, wir finden schon ein passendes Plätzchen ...
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