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Gedanken und Gedenken einer Jüdin in Berlin zum „Schwarzen Schabbat“ in Israel – ein Jahr nach dem Massaker der Hamas: 07.10.2023-07.10.2024

 Eine persönliche Rückschau von Mirjam Silber

 

7.Oktober 2023: für uns Jüdinnen und Juden in der Diaspora zunächst Schockstarre, Fassungslosigkeit und Entsetzen - was für ein infames genozidales Massker der Hamas-Terroristen, die Menschen ermordeten, verstümmelten, vergewaltigten und verschleppten ... und sich dabei noch erbarmungslos hohnlachend filmten! Ich finde kaum Worte dafür, ich vermag mir nicht wirklich vorzustellen, welch ungeheuren Qualen die Geiseln ausgesetzt sind, welch unermessliches Weh die Angehörigen erleiden, aber ich bin in Gedanken bei ihnen und sende ihnen jeden Tag aufs Neue mein Mitgefühl und meine Hoffnung.

Doch seither hat sich eine dunkle Wolke über mein Leben gelegt. Es ist etwas zerbrochen in mir. Ich habe meine Leichtigkeit, meine Fröhlichkeit verloren. Die grauen Schatten, die meinen Alltag nunmehr durchziehen, der dumpfe Bruch, den ich täglich verspüre ... diese Verstörtheit, Trostlosigkeit, Bitterkeit, Angst und Wut hat aber nicht nur mit dem Massaker des 7. Oktober 2023 zu tun, sondern auch mit dem, was hier in meiner Heimat Deutschland danach kam und weiterhin quasi an der Tagesordnung ist: Gleichgültigkeit, Empathielosigkeit, vorwurfsvolle „Ja, aber“-Meldungen – sogar von langjährigen engen Freund:innen, nichtjüdischen wohlgemerkt … dramatisch gestiegene Fälle von Antisemitismus, verbal, sachbeschädigend und sogar gewalttätig … Pro-Palästina-Demos von islamistischen Fanatikern, bei denen die Einführung des (undemokratischen sowie frauen- und LGBTQ-feindlichen) Kalifats gefordert wird, antisemitische Ausrufe skandiert werden und unzählige postkolonial verblendete Linke mitrennen und mitgrölen, ohne überhaupt mit der komplexen Geschichte des Nahen Ostens vertraut zu sein. Aus Sicherheitsgründen wird uns Jüdinnen und Juden geraten, keine Davidsternkette, Kippah oder andere jüdische Zeichen offen zu tragen – darf das denn alles wahr sein?! Im 21. Jahrhundert in Deutschland?!

All das, was sich auf Deutschlands Straßen und in der gojischen Mehrheitsmentalität abspielt, ist zum Verzweifeln – auch wenn es Solidarität für uns Jüdinnen und Juden, für Israel gibt (etikettenklebende, graffitisprühende und laut widersprechende Demokrat:innen, Veranstaltungen, Projekte, Demos u.v.m., und nicht zuletzt auch unsere Gruppe „Israel at War – Daily Updates“ – danke dafür!), jedoch ist diese Schar wackerer Israel-Freund:innen vergleichsweise überschaubar. Hingegen die Majorität der deutschen nicht-jüdischen Gesellschaft hüllt sich entweder in Schweigen oder ergeht sich überlaut in Vorhaltungen, Kritik und Angriffen, die nur so strotzen vor Antisemitismen, bloß wird dem uralten Judenhass und dem uralten Judenvernichtungswahn jetzt ein neues Mäntelchen übergeworfen: Israelkritik, Israelfeindlichkeit und Israelvernichtung. Und die gut gemeinten, aber leeren Worte aus der Politik wie „Schutz jüdischen Lebens“ und „Staatsräson“ kann ich schon nicht mehr hören ...

 

Heute Morgen habe ich eine große Kerze angezündet, die den ganzen Tag brennen wird – möge die leuchtende Flamme Wärme und Licht zu den Geiseln bringen, zu denen, die Freunde und Verwandte verloren haben, zu denen, die verletzt wurden, zu all meinen jüdischen Schwestern und Brüdern in Israel und auf der ganzen Welt!
Und ich habe Apfelscheiben in Honig getunkt – symbolisch, wie zu Rosh ha-Shanah, damit die kommende Zeit „süßer“, jedenfalls besser wird. Dafür bete ich, darauf hoffe ich.

Noch nie waren die Zeilen der israelischen Hymne (mit zukunftsweisendem Titel „Die Hoffnung“, hebr. התקווה ha-Tikwah) für mich so sinnstiftend wie jetzt:

Solange noch im Herzen drinnen

eine jüdische Seele wohnt

und nach Osten hin, vorwärts,

das Auge nach Zion blickt,

solange ist unsere Hoffnung nicht verloren.

Die Hoffnung, 2000 Jahre alt,

zu sein ein freies Volk in unserem Land,

im Lande Zion und Yerushalayim.“

 

So blicke ich nach Osten, nach Zion – in hoffnungsvoller Zuversicht …

Wie schon Rabbiner Jonathan Sacks sagte: „Die Juden hielten die Hoffnung lebendig, und die Hoffnung hielt das jüdische Volk am Leben.“ Hoffnung hat die Kraft, zu verändern, gibt uns die Kraft und den Mut, nach vorn zu blicken und vorwärts zu gehen, frei zu sein von der stumpfen Gleichgültigkeit, dem blinden Hass, den stereotypen Zuschreibungen und abwertenden Vorurteilen, die uns immer wieder entgegengebracht werden.

Meine Hoffnung auf Freiheit und Frieden gilt allen Jüdinnen und Juden, ganz besonders in Israel. Ich hoffe, dass der Krieg bald zu Ende ist und die Geiseln bald nach Hause kommen.

Dafke, allen Widernissen zum Trotz: Das jüdische Volk lebt. Am Israel chai (hebr. עם ישראל חי).

 

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